Iran auf neuen Pfaden entdecken

Eindrücke und Erlebnisse während der Iranreise des Pfadfinderbundes

Das Flugzeug setzt in Teheran auf. Wie in stummer Absprache legen alle Frauen gleichzeitig ihr Tuch über die Haare. Das ist er also, der Iran. Die Hauptstadt ist in Dunkelheit gehüllt, als wir mit dem Bus durch die Straßen fahren. Mir fallen immer wieder die Augen zu, die Reise war lang und aufregend. Auf den Autobahnschildern versuche ich, die persischen Schriftzeichen den mir bekannten Ziffern zuzuordnen. In mir kribbelt es. Endlich wieder unterwegs, endlich sind wir da. Nach fast einem Jahr Planung sind wir angekommen.

Die erste Nacht verbringen wir in Kashan. Es ist sonderbar, nicht im Schlafsack eingerollt zu liegen und doch stellt sich ein Gefühl vom „Auf-Fahrt-sein“ bei mir ein. Die fremde Luft, der Geruch von kühlen Steinen, der ruhige Atem neben mir –  wir wussten, es würde anders werden. Wie lange ich mich darauf gefreut hatte! Und dann Erwachen und die Stadt bei Tageslicht sehen. Gerade erst die Zahl „einundzwanzig“ auf Persisch gelernt, schaffe ich es, dem Busfahrer klarzumachen, wie viele Leute jetzt gerade in den Bagh-e Fin Garten fahren möchten.

Auf dem Weg merke ich, wie ich mich immer wieder ziemlich trampelig und unwissend fühle. So viele Menschen sprechen uns an, wollen uns ihre Stadt erklären und versuchen, Kontakt zu uns aufzubauen; nur ich weiß einfach nicht, was sie mir mitteilen möchten. Ich frage mich, ob es mit dem Weltfrieden leichter wäre, wenn wir uns alle gegenseitig verstehen würden.

Auf der Straße lernen Jove und ich die Zahlen von eins bis 1000. Ein sehr alter Mann beobachtet uns, lächelt zahnlos und beginnt, uns mit Hilfe der Ziffern auf den Autokennzeichen beim Vokabellernen zu unterstützen. Wir bedanken uns mit den wenigen Wortfetzen, die in unseren kleinen Heftchen stehen und winken ihm nach dem Abschied noch eine Weile hinterher. Was er wohl jetzt in diesem Augenblick macht?

Kashan kennen wir nach einigen Tagen sehr gut und die Stadt kennt uns. Wir werden auf der Straße begrüßt, eingeladen und herumgeführt. Wir spielen gemeinsam mit anderen Jugendlichen Fußball und verirren uns nicht mehr auf dem Bazar. Es wird Zeit aufzubrechen.

Mit dem Bus geht es ins Zagros-Gebirge. Wir tauschen Stadtgewusel und Verkehrschaos gegen Einsamkeit und Flussrauschen. Auf uns warten jetzt Tage der Wanderung und Nächte in der Jurte. Beim ersten Sternenhimmel im Iran zieht es ein wenig in meiner Brust, als ich daran denke, dass ich irgendwann wieder weg muss von hier, zuhause sitze und all das nur noch verblassende Erinnerungen sein werden. Aus der Jurte klingen Lieder und Lachen und als ich wieder hineinkrieche weiß ich, was für ein Glück ich habe, hier an diesem Feuer mit diesen Leuten zu sitzen und zu singen.

Der Karun-Fluss wird immer breiter, je länger wir an ihm entlangwandern. Es regnet und das Wasser hat seine Farbe schon von sprudelndem türkis in schlammiges braun gewechselt. Später werden wir erfahren, dass das die ersten Regentage seit einem Jahr waren. Ich schätze, das nennt man wohl Glück. Es ist Bergfesttag und die Landschaft verändert sich nun fast stündlich. Wir wandern einen schmalen Pfad, der heute immer noch von Nomaden genutzt wird, die mit ihrer Schaf-Ziegenherde von den Winterweideplätzen auf die Sommerweideplätze auf der anderen Seite des Gebirges ziehen. Wir treffen einige von ihnen. Sie wohnen in Zelten oder schlafen in den Höhlen, die schon vor vielen vielen Jahren in den weichen Felsstein geschlagen wurden. Auch wir finden dort Unterschlupf. Ein Mann mit ledriger Haut, der mit seiner Frau und seinen Ziegen in den Bergen unterwegs ist, lädt uns ein, ein Stück mit ihm zu gehen. Als wir ihn fragen, wie alt er sei, lächelt er nur milde und sagt, irgendetwas zwischen siebzig und achtzig. Es scheint also nicht so wichtig zu sein. Diese Gelassenheit wünsche ich mir auch.

Abends hallen unsere Lieder von den Wänden und Gelächter perlt als leises Echo von den Felsen. Die Luft ist nicht mehr trocken und staubig, sondern regenschwer. Draußen rauscht der Fluss dunkel vor sich hin. Morgen werden wir mit dem Boot durch den Regen fahren, wir werden Wasserbüffel treffen. Auf einer kleinen einsamen Insel im Iran wird ein Schwarm nackter Pfadfinder ins Wasser springen, als wäre es das Normalste auf der Welt. Aber das weiß ich da alles noch nicht. Ich gehe schlafen, wie an jedem anderen Abend auch, denke zurück an den Tag und erhasche noch einen Blick aus meinem kleinen, in Stein geschlagenen Fenster.

Wir kehren zurück in die Stadt. In Yazd wuselt es durch die Straßen. Die Häuser sind aus Lehm gebaut und der Regen hat an einigen Stellen die Wände abgespült. Das Leben der Menschen spielt sich auf den Dächern ab. Sie picknicken und entspannen, plaudern und arbeiten über der Stadt. Auch wir klettern eine schmale Treppe hinauf und finden uns wieder in einer ganz besonderen Szenerie. Mit Blick auf die grün-blauen Kuppeln der Moscheen, die gelblichen Windtürme und die bläulich-durchscheinenden Bergketten weit hinter den Häusern, schlürfen wir Granatapfelsaft aus Tonbechern. Ich stehe an der Balustrade, die Arme auf die Mauer aufgestützt. Die kleinen Granatapfelkernstückchen zu zerbeißen und in die Ferne zu starren hinterlässt einen prickelnden Geschmack auf der Zunge, der auch Monate später manchmal aufflackert, als loser Gedankenfetzen.

In der Stadt spüre ich, mehr als vorher irgendwo, die leise Revolution der Menschen. Das Café spielt US-amerikanische Musik, einige Frauen tragen statt eines Kopftuches nur einen hochgeschlagenen Schal. Hier ist die Bluse mal zu kurz, dort die Hose zu eng. Überall hängen die Bilder der Machthaber, über sie sprechen tun nur Wenige mit uns. Als wir die Freitagsmoschee betreten, stellt sich eine Frau genau in die Mitte des großen Raumes. Nach einigen tiefen Atemzügen beginnt sie zu singen. Ich verstehe sie nicht, weiß nur, dass weiblicher Sologesang im Iran verboten ist. Doch ehe ich mir Gedanken darüber machen kann, was jetzt mit ihr passiert, reagieren die anderen Besucher. Binnen kürzester Zeit bildet sich eine schützende Menschentraube um die Frau. Sie hört nicht auf, bis das Lied langsam in den alten Gemäuern verhalt. Für mich brennt sich dieses Bild so tief in mein Gedächtnis ein, dass es immer mit dem verbunden sein wird, was ich auf dieser Fahrt sehr deutlich gelernt habe: Das Regime eines Landes macht das Land nicht aus, die Menschen machen es. Ich muss an die Worte eines Studenten in Kashan denken: „The USA and Israel aren´t the enemy, the enemy is the gouvernment“. Was passiert mit einem Land, in dem die Diskrepanzen zwischen Menschen und Regierung so groß sind? Und vor allem, wann passiert es? Wir verlassen die Moschee ohne viel zu reden. Draußen scheint uns die Sonne ins Gesicht und die bunten Stoffe der Händler flattern, als wäre nichts gewesen.

Und dann, ja dann ist unsere Reise irgendwann auch schon wieder vorbei. Ich stehe im Innenhof eines traditionellen Wohnhauses und versuche mir, wie auf jeder Fahrt, ein Bild ganz genau einzuprägen. Es ist wieder Nacht, der Iran verabschiedet uns, wie er uns empfangen hat, in Dunkelheit. Über den Dächern leuchtet der Mond, und das Abfahrtsgewusel um mich herum wird weniger. Ich bin wehmütig über den Abschied, doch merke auch, wie ich wieder reicher nach Hause fahre, als ich gekommen bin. Ich steige ein letztes Mal zu meinen Leuten in den Bus und nehme den Geschmack des Würfelzuckers mit, wenn er in Schwarztee getaucht wird. Ich packe den Rosenwassergeruch ein und das Gefühl vom Staub auf den Dächern. Und die erste Dankesformel, die ich auf Persisch gelernt habe: Daste schoma darrd nakone – Mögen deine Hände niemals schmerzen.

Wir sitzen im Flugzeug auf der Startbahn. Als die Maschine anrollt, nehmen alle Frauen die Tücher wieder vom Kopf. Und da begreife ich es. Jetzt fahren wir wirklich wieder weg von hier.

Im Februar 2019 fuhren vierundzwanzig Sippenführerinnen und Sippenführer aus dem PBMV zusammen in den Iran. Die Idee dazu entstand ungefähr ein Jahr vorher. Das Wissen zum Land hatte zum Glück Caro aus unserem Bund, die fünf Jahre lang im Iran lebte, Persisch spricht und sich 2017 mit ihrem eigenen Reisebüro „Persienreisen“ selbstständig machte. Für uns war es deshalb bedeutend leichter, in Kontakt zu den Menschen vor Ort zu treten und verschiedene Plätze zu sehen. Im Vorhinein haben wir an verschiedenen Stellen Spenden gesammelt und gearbeitet, um die Reise für alle, die wollten, möglich zu machen. Auf verschiedenen Treffen haben wir an der Route gefeilt, uns überlegt, wie viel wir wandern möchten und was wir sehen und erleben wollen. Uns war es wichtig, dass wir so viel wie möglich als Gruppe machen. Ins kalte Wasser wird man natürlich trotz viel Planung geworfen. Aber das ist ja eben auch der Reiz vom auf-Fahrt-fahren.

Milán aus dem Pfadfinderbund Mecklenburg-Vorpommern